Trauerrede des Mirok Li-Preisträgers Lutz Drescher

Liebe Kiyoko, liebe Elisabeth Schneiss, liebe Renate und Fernando und alle anderen Angehörigen, liebe Wegbegleiter und Wegbegleiterinnen von Paul Schneiss,  

es ist gut, dass wir uns hier zu einem Trostgottesdienst versammeln, denn das wäre heute auch das tiefste Anliegen von Paul Schneiss, dass wir alle getröstet und getrost sein sollen. Wiederholt hat mir Paul am Telefon gesagt, dass er in guten Händen ist und damit hat er nicht nur die Ärzte gemeint. Er hat darauf vertraut, dass er zeitlich und ewig in guten Händen ist, und das nehmen wir ihm ab und wissen ihn jetzt gut aufgehoben bei Gott, der lebendig und barmherzig ist.

Wir sind hier, weil wir Paul Schneiss die letzte Ehre geben wollen. Das heißt nichts anderes, als dass wir unserer Dankbarkeit Ausdruck verleihen wollen für alles, was Paul uns persönlich aber auch darüber hinaus bedeutet hat. Zugleich sind wir traurig, dass er nicht mehr bei uns ist. 

(Als ehemaliger Geschäftsführer und Vorsitzender der DOAM und als ehemaliger Ostasienverbindungsreferent der EMS ….) Ich spreche heute hier im Namen der Deutschen Ostasienmission, bringe aber auch Grüße der Evangelischen Mission in Solidarität in Stuttgart und von deren Generalsekretär Dr. Dieter Heidtmann. Paul Schneiss war der EMS eng verbunden. Er der erste Ostasienreferent der EMS und danach Ökumenischer Mitarbeiter der EMS in Japan. Außerdem bringe ich Grüße der Deutsch Koreanischen Gesellschaft und deren Präsidenten Dr. Uwe Schmelter, die noch im Oktober Paul Schneiss den renommierten Mirok Li-Preis verliehen hat.

Ich bin Paul vor ziemlich genau 30 Jahren zum ersten Mal in Korea begegnet und in den letzten 20 Jahren haben wir im Rahmen von EMS und DOAM eng zusammengearbeitet. Für die DOAM, deren langjähriger Vorsitzender und Ehrenvorsitzender Paul Schneiss war, hat er sich bis ins vergangene Jahr hinein unermüdlich eingesetzt. Auch das ist Gnade: so lange aktivsein zu dürfen und zu können. Er hat in den vergangenen Jahrzehnten Symposien zu Frieden und Versöhnung in Japan, Korea und Deutschland vorbereitet und geleitet. Gerade weil Paul biographisch und durch seine Heirat mit Kiyoko existentiell eng mit Japan verbunden war und sich zugleich für die Menschen in Korea einsetzte, die unter Menschenrechtsverletzungen litten, konnte er hier Brücken bauen. Ich erinnere mich an Szenen, bei denen auch Tränen geflossen sind, sichtbares Zeichen, dass Prozesse der Versöhnung schmerzhaft und befreiend zugleich sind. Paul war auch im Team von zahlreichen Studien- und Begegnungstagungen, die wir meist in Zusammenarbeit mit Akademien durchgeführt haben, und immer wieder war da das Wehen des Geistes zu spüren. Eine der besonderen Gaben, die Paul hatte und die bei Menschen seiner Generation alles andere als selbstverständlich ist, ist die, dass er sehr gut mit dem Computer umgehen konnte. Er saß gerne am Computer und ich und andere haben ihn manchmal beneidet um die Kenntnisse, die er auf diesem Gebiet hatte. Er hat die Homepage der DOAM gegründet und dort über 60.000 Einträge vorgenommen, so dass sie inzwischen ein wichtiges Instrument ist für alle, die sich mit Kirche und Gesellschaft in Ostasien beschäftigen. Paul freut sich sicher, wenn Sie diese einmal besuchen. Es ist ganz einfach www.doam.org. Dort findet sich auch ein Nachruf unserer Vorsitzenden Dr. Carola Hoffmann Richter.

Vor allem in Korea wurde Paul Schneiss wegen seines Engagements für Menschenrechte, an dem die ganze Familie Anteil hatte, vielfach geehrt, zuletzt mit dem Order of Merit, was dem deutschen Bundesverdienstkreuz entspricht (und dem Mirokj Li Preise der Deutsch Koreanischen Gesellschaft). Als er starb, haben Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie der Oberbürgermeister der Stadt Kwangju, der Wiedervereinigungsminister der Republik Korea und der Generalsekretär des Nationalen Kirchenrates seiner gedacht und sein Wirken gewürdigt. In so gut wie allen koreanischen Tageszeitungen sind nach seinem Tod Artikel über Paul erschienen und auch das Korea Broadcasting System – das öffentlich rechtliche Fernsehen in Korea – hat einen kurzen Beitrag über ihn gesendet.

Mir sind in den letzten Tagen erneut die tiefen kulturellen Unterschiede zwischen der westlichen und der koreanischen Kultur aufgefallen. In Korea sind die Verstorbenen ja in gewisser Weise nicht tot, sie gehören nun zu der Reihe der Vorfahren, der Ahnen. Unter dem Schutz und Segen der Ahnen soll und darf die gegenwärtige und die kommende Generation leben.
Anders als in Deutschland üblich, wird in Korea auch auf Facebook der Verstorbenen gedacht, es werden Bilder mit ihm gepostet und an Begegnungen mit ihm erinnert. Dabei wird auch deutlich, dass die Gastfreundschaft im Hause Schneiss gleichsam legendär ist. (Es gibt kaum eine oder einen Theologiestudierende aus Ostasien in Heidelberg, um die sich Paul nicht mit Rat und Tat gekümmert hätte. Viele berichten davon, wie er sie zum Essen eingeladen hat und Ausflüge mit ihnen gemacht hat.) Ein junges Paar berichtet davon, wie Paul sie mit einem Segenswunsch nach Korea verabschiedete und damit gleichsam ihre Ehe gestiftet hat. Ein Filmemacher kam 2018 nach Heidelberg, um eine Dokumentation zu drehen über einige Persönlichkeiten, die nach dem schrecklichen Massaker in Kwangju 1980 weltweit Solidarität organsierten. In seinem Facebook Post berichtet er auch begeistert, wie Paul das Team danach zur Vorstandssitzung der DOAM in Bad Boll mitnahm und auf dem Weg dahin mit seinem BMW mit 180 Stundenkilometer fuhr. Damit man ihm das auch glaubt, ist gleich noch ein Bild dabei mit der Tachonadel.

Ja und damit will ich gleich schließen: Paul war unermüdlich unterwegs in Sachen DOAM, in Sachen Menschenrechte, Frieden und interreligiöser Dialog. Als ich ihm am 15. März 2013 zu seinem 80. Geburtstag gratulieren wollte, da war er nicht zuhause. Er war in Ravensburg, um einen Sinto in einem Prozess zu unterstützen, in dem es um rassistische Beleidigung durch einen Polizisten ging. Ich bin überzeugt, die beste Art Paul zu ehren ist, wenn wir in uns ein wenig von der Leidenschaft lebendig sein lassen, die auch ihn bewegt hat den. Er hat auf alle Fälle immer wieder den „Ort des Geschehens“ – ein wichtiger Begriff in der Minjungtheologie – aufgesucht, an dem Leid erlitten wird, aber auch die Kraft der Auferstehung und des neuen Lebens spürbar wird. An einem solchen Ort sind wir auch heute hier.
Ich gebe zum Abschluss Paul selbst das Wort. Auf der DOAM Homepage findet sich ein Bericht über die Bestattung von Koichi Suzuki 2017, der gemeinsam mit Paul lange die kleine japanische Gemeinde in Frankfurt geleitet hat.

Paul sagte in seiner Ansprache, in seiner Trostrede damals: 

„Und heute stehen wir an seinem Grab. Und wir erzählen einander, wie wir ihn
erlebt haben, was wir mit ihm erfahren haben, wir er ein Teil unser selbst
geworden ist.
Beim Erzählen geht es darum, zu erkennen wie Gott uns geführt hat. Daraus
Vertrauen schöpfen, dass wir auch morgen und alle Tage in seiner guten Hand
wohl aufgehoben sind. Das zu erkennen macht es uns möglich,
wie es in Micha 6,8 heißt „demütig
mitzugehen mit meinem Gott“.

Und weiter sagt Paul:
Jeder Mensch geht seinen Weg und der endet, nach der gemeinsamen Überzeugung von Suzuki Koichi Sensei und mir nicht im Grab, sondern mit der Auferstehung von den Toten. Darum
können wir getrost und „demütig mit Gott mitgehen“. Ich wünsche besonders
denen, die zur Familie gehören, aber auch allen andern, dass Sie Ihren Weg
getrost gehen mögen.“

  

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